Zwischen Wien und Rom: Auf der Spur der österreichisch-italienischen Kooperation auf dem Gebiet des Films in den 1930er Jahren

4. Österreichisch-italienische Verhandlungen

Parallel zur Gründung der ACI, während an Casta Diva zu arbeiten begonnen wird, werden in Rom weitere Filme hergestellt, die unter dem Zeichen der österreichisch-ita­lienischen Kooperation stehen. So tritt in Carlo Ludovico Bragaglias Frut­to acerbo die Wiener Lotte Menas auf, und der Film ist das Remake eines österreichischen Lustspiels, Csibi, der Fratz, bei dem Max Neufeld Regie führt; Menas ersetzt Franziska Gaal, die im Original die Hauptfigur darstellt. „Hübsch, überaus spritzig, mit eigener Komik“, preist sie ein Blatt.40 Danach spielt sie in Raf­faello Matarazzos Kiki, das Ende 1934 erscheint, und Menas wirkt im Laufe des Jahrzehnts an weiteren italienischen Streifen mit.41

Zur gleichen Zeit spielt in Italien Alexander Moissi die Titelfigur im Historienfilm Lo­ren­zino de‘ Medici. Der Schauspieler zählt zu den größten Vertretern des deutschsprachigen Theaters der Zwischenkriegszeit, und als er 1933 Deut­schland verlassen muss, lässt sich Moissi in Italien nieder, wo er erfolgreich Theater spielt. Vermutlich soll er in Italien auch einen anderen Film, Come le foglie, drehen,42 doch Lo­renzino de‘ Medici ist Moissis letzter Film;43 er stirbt kurze Zeit danach. Die Presse lobt den Streifen und Moissis Leistung: Lo­renzino de‘ Medici „gehört zu den besten Schöpfungen der neuen italienischen Kinematographie“, heißt es im Film-Kurier,44 und ein italienischer Kritiker vermerkt: „Moissi zeichnet einen Lorenzino vielleicht etwas Hamlet-artig aber subtil und verwinkelt, morbid und vor zurückgehaltenem Zorn bebend […] etwas theatralisch in mancher Geste, […] doch reich an scharfsinnigen Kontrasten, an geglückten Pointen“.45

Gleichzeitig wird in der Presse Meldung gegeben, dass Gespräche zwischen österreichischen Stellen und Rom in Gang sind, die auf eine feste Kooperation abzielen. Anfang Herbst 1934 titelt ein Blatt: Film-Zusammenarbeit Österreich-Italien?,46 und es wird über Pläne informiert, eine österreichisch-italienische Gemeinschaftsproduktion auf die Beine zu stellen. „Im Rahmen der Bemühungen, die österreichische Produktion auszugestalten“, heißt es in der Lichtbild-Bühne, „fanden auch Verhandlungen mit maßgebenden italienischen Filmkreisen statt, die sich bereits im vorgeschrittenen Stadium befinden“; ein positiver Ausfall erscheint als imminent, und man zeigt sich zuversichtlich, „dass zwischen der italienischen und österreichischen Filmindustrie ein enger Kontakt zustande kommen wird“.47

Es wird auch die unmittelbare Reise einer Delegation nach Rom angekündigt, „um in einzelnen Besprechungen die Richtlinien für eine Zusammenarbeit zwischen Film-Italien und Film-Österreich festzulegen“.48 Wobei ihre hochkarätige Zusammenstellung die Bedeutung veranschaulicht, die man offensichtlich einer Zusammenarbeit zuschreibt. Der Delegation sollen auch der ehemalige Bundesminister für Handel und Verkehr Eduard Heinl und der Leiter der Kinobetriebs-Anstalt (KIBA), Karl Imelski, angehören. Letztere zählt in den 1930er Jahren zu den mächtigsten Film-Unternehmen Österreichs: Es gehören ihr die größte Kino-Kette und eine umfangreiche Verleih-Or­ganisa­tion an.

Auch die Selenophon blickt Ende 1934 mit großem Interesse nach Italien. Einige Jahre vorher hatte die Gesellschaft ein eigenes Tonfilm-Sys­tem entwickelt, und die Selenophon stellt Aufnahme- und Vorführgeräte her, verwaltet ein Atelier (in dem u.a. Gustav Machatys Ekstase und Nocturno gedreht werden) und genießt eine faktische Monopol-Stellung auf dem Wochenschau-Gebiet. Hier kooperiert die Selenophon seit Anfang 1934 mit dem italienischen Istituto Luce, eine staatliche Gesellschaft, die Mitte der 1920er Jahre gegründet worden war und eine offizielle Wochenschau herstellt. Es besteht „ein[e] lebhaft[e] gegenseitig[e] Lieferung“, vermerkt die Selenophon in einem Exposee zu ihrer Kooperation mit Italien, das den 20. Dezember 1934 datiert; „Luce und Selenophon bestellen allwöchentlich gegenseitig mehrere Sujets und es werden in Italien allmonatlich etwa 6 österreichische, in Österreich allmonatlich etwa 6 bis 8 italienische Bilder veröffentlicht“.49

Es geht der Selenophon darum, den Kooperations-Bereich mit dem südländischen Nachbarn zu erweitern. Ihr Exposee nimmt auf den Erfolg der jüngsten österreichischen Produktion in Italien Bezug, und die Selenophon bietet sich als Vermittler zwischen Wien und Rom an. „Österreich ist wohl in der Lage, italienische Filme von Qualität aufzunehmen“, vermerkt man und erklärt sich bereit, italienische Filme in Österreich zu vertreiben: „Die Selenophon macht sich gerne erbötig, Angebote in italienischen abendfüllenden Spielfilmen entgegenzunehmen“.50 Dabei geht die Selenophon auch auf die Frage ein, was für eine Produktion sich für den österreichischen Markt besser eignet. Diesbezüglich bemerkt man: „Erwünscht sind in erster Linie Ausstattungs- und musikalische Filme, also nicht ausgesprochene Dialogfilme, mit einem Wort Filme, die optischen oder international akustischen Geschmack haben“;51 und ihre Bemerkung weist großes Interesse auf, denn sie umreißt mit auffälliger Genauigkeit den Gattungs-Bereich, dem die Filme, die in den 1930er Jahren zwischen Wien und Rom entstehen, angehören.

Anfang 1935 werden die österreichisch-italienischen Gespräche fortgesetzt, und die Verhandlungen involvieren auch das Bundesministerium für Handel und Verkehr, wo das Amt für Wirtschaftspropaganda, das von Eugen Lanske geleitet wird, für den Ressort Film zuständig ist. Einen bedeutenden Impuls erhalten die Verhandlungen durch das österreichisch-italienische Kulturabkommen. In der Presse wird auf die Möglichkeit hingewiesen, „das Kulturabkommen zwischen Österreich und Italien auf den Film auszudehnen“,52 und dieses soll, so vermerkt ein vertrauliches Exposé Lanskes für den Bundesminister für Handel und Verkehr Friedrich Stockinger, die geeignete Basis für die künftige Zusammenarbeit zwischen Wien und Rom auf dem Gebiet des Films bieten; diese „würde sich dem jüngst mit Italien abgeschlossenen Kulturabkommen einfügen und unter anderem zur Erzeugung von deutschen und italienischen Versionen in Wien führen“.53

Von der Zusammenarbeit mit Italien erhofft man sich in Wien den Zugang auf einen neuen Markt, und die Herstellung österreichisch-italienischer Gemeinschaftswerke soll der heimischen Produktion zu einer stärkeren Präsenz südlich der Alpen verhelfen. Im Exposé Lanskes wird der Punkt deutlich angesprochen: „Das Handelsressort ist bemüht, der heimischen Filmindustrie bei der Erschließung von Absatzwegen in anderen Staaten dadurch an die Hand zu gehen“, schreibt der Leiter des Amtes für Wirtschaftspropaganda, „dass es den Ateliers die Erzeugung fremdsprachiger Versionen nahelegt“.54 Zwischen Wien und Rom besteht aber eine Divergenz, was die genaue Anzahl Gemeinschaftswerke angeht, die jeweils in einem Land hergestellt werden sollen. Während die italienischen Stellen „eine Filmproduktion im Verhältnis 1:1 (das heißt für je einen in Österreich gedrehten italienischen Film einen in Italien gedrehten österreichischen Film) beanspruch[en]“, so informiert die Lichtbild-Bühne, „[befürwortet] Österreich das Verhältnis 2:1“.55

Die Gespräche zwischen Wien und Rom entwickeln sich positiv. Im Frühling 1935 vermerkt Lanske: „Insbesondere mit Italien sind […] in letzter Zeit erfolgversprechende Verhandlungen angebahnt worden“; 56 und Anfang Juni begibt sich Maltini nach Wien, um sich mit dem Leiter des Amtes für Wirtschaftpropaganda zu treffen. Dabei vertritt der Vorstandsvorsit­zende der ACI die Direzione Generale.57 Eben war die erste österreichisch-italienische Koproduktion, Tagebuch der Geliebten, angekündigt worden, und die Kooperation nimmt durch Maltinis Besuch in Wien Kontur an. „Der erste Anfang ist gemacht“, meldet die Lichtbild-Bühne, „eine österreichisch-italie­nische Gemeinschafts-Produk­tion kann entstehen, wenn von maßgebender Stelle aus die diesbezüglichen Verhand­lungen tatkräftigt unterstützt werden“;58 und die Interna­tionale Filmschau betont, dass „eine feste Bindung“ angestrebt wird, “die eine ständige Zusammenarbeit ermöglicht“.59

Der Perspektive wird in der Presse mit regem Interesse entgegengesehen, und der filmwirtschaftlichen Allianz zwischen Wien und Rom wird besonderen Wert in Vergleich zu den gleichzeitigen Kooperations-Versuchen mit Holland, Ungarn und der Tschechoslowakei beigemessen. „[Es] soll vor allem Italien zu einer weitgehenden Gemeinschaftsarbeit mit österreichischen Filmfirmen bereit sein“, merkt die Internationale Filmschau an, „die diesbezüglichen Nachrichten lauten sehr bestimmt“;60 und das Blatt betont die politische Valenz einer österreichisch-italienischen Kooperation im Bereich Film: „Italien [könnte] in der Tat ein Interesse an dem Fortbestehen einer unabhängigen österreichischen Produktion haben“, wobei auf die allgemeine Bemühung angespielt wird, einer Expansion Berlins und der Unterwerfung Österreichs dem „Dritten Reich“ gegenüber entgegenzuwirken, die das faschistische Regime Mitte der 1930er Jahre anstrebt.

Auf Maltinis Reise nach Wien folgt im Oktober 1935 ein Besuch Lanskes in Rom. Hier trifft sich der Leiter des Amtes für Wirtschaftspropaganda mit Freddi. „Zweck der Besprechungen war es“, hält Lanske in einer Aufzeichnung über die Reise fest, „ein engeres Zusammenarbeiten zwischen der österreichischen und der italienischen Filmproduktion zu schaffen“.61 Um den österreichisch-italienischen Austausch zu fördern, wird „die Etablierung eines Spezialclearings für Filmzahlungen“ besprochen; die Maßnahme erscheint als nötig „im Hinblick auf die durch die politische Entwicklung bedingte Unsicherheit des gegenseitigen Zahlungsverkehrs“.62 Gleichzeitig wird die Aussicht diskutiert, eine umfangreiche Gemeinschaftsproduktion aufzubauen, wobei auch doppelte Versionen realisiert werden sollen. Diese sollen im jeweiligen Land als inländische Produktion gelten, vermerkt Lanske: „Es wird anzustreben sein, dass derartige Austauschversionen dieselbe begünstigte Behandlung erfahren, wie ein im Inland hergestellter Film“.63

Über das Treffen informiert der Leiter des Amtes für Wirtschaftspropaganda die Tobis-Sascha, die großes Interesse an einer Kooperation mit Italien signalisiert, und Lanskes Aufzeichnung wird durch ein Blatt ergänzt, das einige Filme auflistet, an denen eben in Italien gearbeitet wird: Scipione l’Africano, Ballerine, Lo squa­drone bianco, Ma non è una cosa seria, Condottieri und Giulio Cesare. Die Liste war Lanske in Rom übergeben worden, wobei unklar bleibt, ob es sich um Projekte handle, die nach Freddis Absicht mit Wien zusammen hergestellt werden sollen. Als bemer­kenswert erscheint jedoch die Tatsache, dass nahezu alle Vorhaben (über die noch die Rede sein wird) in Zusammenhang mit der ACI, Gallone und den Produzenten Press­burger und Rabinowitsch stehen.