Zwischen Wien und Rom: Auf der Spur der österreichisch-italienischen Kooperation auf dem Gebiet des Films in den 1930er Jahren

6. Neue Projekte und Produktionsgesellschaften

Im Lauf des Jahres 1935 kann die österreichisch-italienische Zusammenarbeit ein auffälliges Crescendo verzeichnen. Es werden neue Projekte geplant, und die Kooperation zwischen Horus- und Astra Film soll nach Tagebuch der Geliebten und Die weiße Frau des Maharadscha durch einen weiteren Streifen fortgesetzt werden. Das neue Projekt wird unter den Titel Ein Stück Erde angekündigt.123 Genaueres ist nicht bekannt, und das Vorhaben kommt nicht zustande, doch das Projekt muss größere Relevanz gehabt haben: Auch Freddi erwähnt es in einem Aufsatz in Lo Schermo über die Renaissance des italienischen Films.124 Des Weiteren soll im Herbst 1935 in Wien ein österreichisch-italienischer Gemeinschaftsfilm mit Buster Keaton gedreht werden,125 und die mailändische Novella Film kündigt ein Lustspiel mit der Wienerin Rosl Sladek an. Als Stoff soll Alberto Colantuonis Stück La guarnigione inca­tenata dienen.126Die Novella Film, die zu einer der größten italienischen Verlagsgesellschaften der 1930er Jahre, der Rizzoli & C., gehört, hatte ein Jahr vorher mit Ophüls‘ Film La signora di tutti debütiert.

Auch die ACI kündigt neue Projekte an. Nach Casta Diva soll ein zweiter Film unter Gallones Regie hergestellt werden. Das Projekt wird in einer Aufzeichnung zur finanziellen Lage der ACI vom 5. Dezember 1936 erwähnt,127 und Phillips Holmes deutet in Cinema Illustrazione auf einen weiteren Film hin, den er in Italien gemeinsam mit Gallone drehen soll. Als Titel wird Un’avventura di Byron in Italia angegeben.128 Der amerikanische Schauspieler, der in der englischen Version von Casta Diva Bellini spielt, hatte durch Josef von Sternbergs An American Tragedy großes Renommee erlangt, und seine Filmographie umfasst u.a. The Man I Killed von Ernst Lubitsch und George Cukors Dinner at Eight. Gleichzeitig kündigt die ACI das Lustspiel Nina, non far la stupida an und einen Historienfilm, Condottieri, bei dem Luis Trenker Regie führen und die Hauptrolle spielen soll.129

Auf die ACI und Pressburgers und Rabinowitschs Pläne, in Italien zu produzieren, mag auch ein weiteres Vorhaben zurückzuführen sein. Anfang 1935 meldet die Presse, Karl Hartl solle in Italien einen Film inszenieren.130 Der österreichische Regisseur steht in jener Zeit in einem Naheverhältnis zur Cine-Allianz, für die Hartl zwischen 1933 und 1934 Ihre Durchlaucht, die Verkäuferin und So endete eine Liebe inszeniert, und Szekely verpflichtet Ende 1935 Hartl für seine erste Wiener Produktion, Die Leuchter des Kaisers. Näheres lässt sich über das Vorhaben nicht feststellen. Aus der Presse entnimmt man aber, dass es sich um die deutsche Version eines italienischen Films handeln, und das Vorhaben wird im Film-Kurier mit der SASP in Zusammenhang gebracht.131

Nina non far la stupida soll von der ACI in Gemeinschaft mit der Tiberia Film produziert werden.132 Die Tiberia Film war im Sommer 1935 in Rom gegründet worden, es leiten sie Angelo Besozzi, Fabio Franchini und Giuseppe Montanara. Ersterer war in den späten 1920er Jahren bei der SASP in führender Position tätig gewesen. Danach zeichnet Besozzi für einige Remakes deutscher Filme verantwortlich, und er fungiert bei Frutto acerbo als Produktionsleiter. Die Tiberia Film entsteht auf Initiative der Verleih-Firma Soc. An. Grandi Films (SANGRAF), die Anfang der 1930er Jahre gegründet worden war, und eine enge Zusammenarbeit bindet die SANGRAF an die Cine-Allianz, die in Italien ihre Filme durch die SANGRAF herausbringt. Wie die Lichtbild-Bühne anmerkt, ist die Cine-Allianz dank ihrer Kooperation mit der SANGRAF die einzige deutsche Gesellschaft neben der UFA, die über einen festen Absatz ihrer Produktion in Italien verfügt.133 Von der SANGRAF werden u.a. Leise flehen meine Lieder, So endete eine Liebe, Mazurka, Die blonde Carmen, Ich liebe alle Frauen, Der Student von Prag und Allotria verliehen. Durch die Tiberia Film will man in die Produktion einsteigen, und die SANGRAF stellt mutmaßlich einen wichtigen Partner für Szekely und das Produzenten-Duo Pressburger und Rabinowitsch dar, bei ihrem Versuch, in Italien Fuß zu fassen.

Im Herbst 1935 wird in Rom auch eine neue Produktionsgesellschaft, die Colombo Film, ins Leben gerufen, an der Pressburger gemeinsam mit Gallone maßgeblich beteiligt ist. Sie besitzen respektive 49 und 48 Prozent der Colombo Film, und der italienische Regisseur agiert als Vorstandvorsitzender, während Pressburger für die Geschäftsführung verantwortlich ist.134 Zu den Gesellschaftern gehört ferner Francesco Morabito, der einen dreiprozentigen Anteil an der Colombo Film besitzt und Pressburgers Vertretung übernimmt.135 Somit befindet sich Letzterer in Kontrolle der Gesellschaft. Des Weiteren gehört der (Alt-)Österreicher Eugen Kürschner dem Prüfungsausschuss an. Kürschner war 1890 in Budapest geboren und hatte in den 1920er Jahren in Berlin als Aufnahme- und Produktionsleiter gearbeitet. Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung emigriert Kürschner über Wien, wo er sich für kurze Zeit niederlässt, nach Italien. Der Colombo Film wird „in Rom große Bedeutung beigemessen“, weiß die Presse zu berichten, und „große Mittel dürften zu Verfügung stehen“.136 Auch soll die Direzione Generale ihre Gründung stark unterstützt haben. „Freddi hatte mit verschiedenen ausländischen Filmfachleuten Besprechungen, die hiermit in Zusammenhang stehen dürften“, gibt die Lichtbild-Bühne bekannt,137 und „man [hegt] im Propagandaministerium für diese Neugründung, die von dort weitgehend unterstützt worden ist, besonderes Interesse“.138

Gleichzeitig wird eine weitere Produktionsgesellschaft angekündigt, „die wahrscheinlich den Namen Cine-Alleanza Romana annehmen dürfte“,139 wobei ihr Name auf eine explizite Verbindung zum Duo Pressburger und Rabinowitsch weist. Es wird ein umfangreiches Programm gemeldet: Es sollen „acht große Filme“ entstehen, „in doppelter Version“ und mit „[den] besten italienischen und ausländischen Regisseuren und Darstellern“.140 Doch es bleibt fraglich, ob die neue Firma, über die Näheres nicht bekannt ist, tatsächlich gegründet wird.

Durch die Colombo Film soll das vielfältige Produktions-Programm der ACI weitergeführt werden, die Ende 1936 liquidiert wird. Dabei soll auch die Zusammenarbeit mit der SASP fortgesetzt werden: „Ein Vorvertrag wurde bereits mit der Pittaluga-Gesellschaft abgeschlossen“, meldet der Film-Kurier, „auf Grund dessen letztere Gesellschaft die Auswertung in Italien von fünf noch herzustellenden Filmen übernehmen wird“,141 und die Colombo Film kündigt als erste Projekte Nina, non far la stupida an und eine Verfilmung von Luigi Pirandellos Stück Ma non è una cosa seria, bei der Mario Camerini Regie führt; der italienische Regisseur dreht einige Jahre später auch ein deutsches Remake, Der Mann, der nicht nein sagen kann. Anfang 1936 wird auch ein Film angekündigt, „der gegen das Ende des Rokoko auf Capri spielt und der auf tatsächlichen Geschehen beruht“.142 Das Drehbuch soll der deutsche Schriftsteller Alfred Neumann verfassen, der sich nach 1933 in Italien aufhält, von wo aus er später in die USA auswandert.

Ferner wird an einem Großfilm über den Entdecker Amerikas Christoph Kolumbus gearbeitet, von dem es auch eine englischsprachige Version geben soll. „Hauptdarsteller wird vermutlich Friedrich March sein“, kündigt Lo Schermo an,143 und das ambitionierte Vorhaben, das von der ACI angeregt worden war,144 nimmt offensichtlich eine zentrale Stelle im Produktions-Pro­gramm der Colombo Film ein. Auch ihr Name mag auf das Projekt zurückzuführen sein. Doch der Film kommt nicht zustande. An seiner Stelle wird später der propagandistische Kolossal-Film Scipione l’Afri­cano hergestellt, bei dem Gallone Regie führt.