Zwischen Wien und Rom: Auf der Spur der österreichisch-italienischen Kooperation auf dem Gebiet des Films in den 1930er Jahren

5. Zwei Koproduktionen

Vor dem obigen Hintergrund entsteht im Sommer 1935 die österreichisch-italie­ni­sche Koproduktion Tagebuch der Geliebten, und der Zeitpunkt, Anfang Mai, wo das Projekt angekündigt wird, erscheint als markant: Eben war Casta Diva fertiggestellt worden, einige Wochen später findet Maltinis Reise nach Wien statt. In der Tat scheint zwischen Tagebuch der Geliebten und Casta Diva ein engerer Zusammenhang zu bestehen.

Von Tagebuch der Geliebten wird auch eine italienische Version, Diario di una donna amata, gedreht, für die Szekeley als verantwortlich angeführt wird.64 Über ihn läuft vermutlich der Kontakt zwischen der Panta-Film und der Soc. An. Stefano Pittaluga (SASP), die ursprünglich den Film zusammen herstellen sollten. „Für Mitte Juli ist, wie man erfährt, eine Gemeinschaftsproduktion der italienischen Gesellschaft Pittaluga mit der Wiener Panta-Filmgesellschaft zu erwarten“, heißt es im Mai 1935 in der Lichtbild-Bühne.65 Die SASP war bereits an Casta Diva beteiligt gewesen. Zusammen mit der ACI zeichnet sie für die italienische Version verantwortlich.66 Dagegen handelt es sich bei der Panta-Film um eine neue Gesellschaft, die vor Tagebuch der Geliebten lediglich eine kleinere Produktion, Bretter, die die Welt bedeuten, hergestellt hatte. Ihr Patron ist Eduard Albert Kraus, „ein Quereinsteiger in der Filmwirtschaft“, schreiben Armin Loacker und Martin Prucha, der „im Petroleumgeschäft ein kleines Vermögen [macht]“,67 und es erscheint als unwahrscheinlich, dass die Panta-Film direkten Kontakt zur italienischen SASP hat.

Anfang der 1930er Jahre bildet die SASP das größte italienische Unternehmen auf dem Gebiet des Films. Ihre Tätigkeit beschränkt sich nicht auf die Produktion, sie besitzt einige Atelier-Anlagen, eine weitläufige Kino-Kette und einen Verleih.68 Im Lauf des Jahres 1934 erfährt die SASP aber eine Krise, die Produktion wird fast eingestellt, auch die Ateliers stehen leer, und Casta Diva und Tagebuch der Geliebten zeugen von ihrem Versuch, durch eine weitläufige Zusammenarbeit mit dem Ausland ihre Tätigkeit anzukurbeln: „Die Pittaluga-Gesellschaft hat einen großzügigen Produktionsplan ausgearbeitet“, informiert im Juli 1935 die Internationale Filmschau, „und will versuchen, mit Hilfe ausländischer Künstler die verlorgegangene Position des italienischen Films auf dem Weltmarkt zurückzugewinnen“;69 und das Blatt nennt die SASP für ihre Herstellung verantwortlich: „Pittaluga hat im letzten Jahr Casta Diva hergestellt und dreht gegenwärtig in Wien den österreichisch-italienischen Gemeinschaftsfilm Maria Baschkirtzeff“.70

Des Weiteren soll an der Produktion von Tagebuch der Geliebten die Tobis-Sascha teilnehmen,71 und die prominente Delegation, die im Juli 1935 nach Rom reist, weist auf die Bedeutung hin, die dem Projekt beigemessen wird. Zusammen mit Kraus gehört ihr der Vorstandvorsitzende der Tobis-Sascha Oskar Pilzer an.72 Letzterer leitet seit Anfang 1932 die österreichische Major gemeinsam mit seinen Brüdern Kurt, Severin und Viktor, und die Oskar-Brüder sind ferner an verschiedene Produktions- und Verleih-Firmen beteiligt, zu welchen neben der Walter Reisch- und der Vienna-Film (die Oskar Pilzer gemeinsam mit Paula Wessely gründet) auch Szekelys Gloria-Film und der Rex-Film-Vertrieb zählen.

Für Tagebuch der Geliebten zeichnen letztlich die Panta- und die römische Astra Film verantwortlich, der vermutlich das Projekt von der SASP übertragen wird, die Mitte 1935 vom Istituto Luce gekauft worden war und sich in Liquidation befindet. Durch die Astra Film soll eine feste Kooperation zwischen Wien und Rom aufgebaut werden, und die Presse meldet, dass die neue Gesellschaft „den Zweck verfolgt, die italienisch-österrei­chische Film-Zusammen­arbeit durch die Herstellung mehrerer Gemeinschaftsproduktionen praktisch zu fördern“.73 Dabei ist die zeitliche Koinzidenz zwischen dem Besuch Pilzers in Rom und der Gründung der Astra Film auffällig: Sie erfolgt Ende Juli 1935.74

Gegründet wird die Astra Film von Arturo Collari und Oreste Cariddi Barbieri und dem Ungar Julius Hajdu, wobei Erstere als Vorstandsvorsitzender und als Geschäftsführer agieren. Beide stehen in engem Kontakt zum deutschen Film. Laut der Lichtbild-Bühne hat Collari in Italien die Vertretung für den AGFA-Rohfilm,75 und Barbieri war Anfang der 1930er Jahre an der Herstellung der italienischen Versionen einiger deutscher Komödien beteiligt gewesen.76 Dagegen ist kaum etwas über Hajdu bekannt, der zum Direktor der Astra Film ernannt wird und gemeinsam mit Collari und Barbieri den Vorstand bildet. Doch spielt er ersichtlich eine zentrale Rolle. Sein Name tritt bereits in Zusammenhang mit der ACI auf, bei der Hajdu dem Prüfungsausschuss angehört, und Hajdu besitzt vier Fünftel der Astra Film, das restliche Fünftel gehört in gleichem Maß Collari und Barbieri.

Tagebuch der Geliebten wird als: “Der Spitzenfilm der österreichischen Filmproduktion“ angekündigt,77 und das erste österreichisch-italienische Gemeinschaftswerk gestaltet sich als ein aufwendiges und ambitioniertes Projekt. Der Film, „unübertroffen in Qualität und Handlung“,78 „soll mit den größten Mitteln gedreht werden“, meldet die Presse. 79 Deutlich wird auf ein geeignetes Produkt für das Ausland abgezielt, und es wird auch die Möglichkeit erwogen, neben der italienischen Version, die ebenfalls Kosterlitz inszeniert, eine englisch- und eine französischsprachige Version zu drehen. „Es schweben überdies gegenwärtig noch Verhandlungen“, teilt im Mai 1935 Das Kino-Journal mit, „die auch auf die Herstellung einer französischen und englischen Version abzielen“.80 Es kommt nicht dazu, doch kursiert Anfang 1936 die Meldung, Tagebuch der Geliebten soll in Hollywood neu verfilmt werden. „Maria Baschkirtzeff wird in Hollywood gedreht“, meldet Mein Film; das Remake soll die RKO produzieren, und „die von Lili Darvas kreierte Rolle wird in der amerikanischen Version von Katherine Hepburn gespielt werden“. 81 Doch die Neuverfilmung kommt nicht zustande, und Tagebuch der Geliebten erscheint zwei Jahre später in den USA unter dem Titel The Affairs of Maupassant.

Auch die Stoff-Auswahl entspricht dem Ziel, dem Projekt internationalen Appeal zu verleihen. Die Handlung spielt in Paris zur Zeit der Belle Epoque, und Tagebuch der Geliebten dreht sich um die Figur Marie Baschkirtzeffs: Eine russische Künstlerin, die in Paris in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts tätig ist.82 Mit 26 Jahren war sie an Tuberkulose gestorben, und der Film basiert frei auf ihr Tagebuch, das im Jahr 1887 unter dem Titel Journal de Marie Bashkirtseff publiziert worden war. In kurzer Zeit wird das Buch in etliche Sprachenübersetzt (1889 erscheint es in England, die erste deutsche Ausgabe erfolgt 1897), und ihre Figur erfreut sich in der Zwischenkriegszeit größerer Bekanntheit. Dafür sind auch die vielen Bücher bezeichnend, die über sie publiziert werden: Im selben Jahr von Tagebuch der Geliebten erscheint in Paris D’Héloise à Marie Bashkirtseff. Portraits de Femmes von Emile Henriots, und Alberic Cahuets Biografie Moussia ou la vie et la mort de Marie Bashkirtseffaus den 1920er Jahren wird ins Deutsche übersetzt.

Gleichzeitig wartet Tagebuch der Geliebten mit einer hochkarätigen Besetzung auf: An Darvas‘ Seite, die Baschkirtzeff darstellt, spielt Hans Jaray Guy de Mautpassant, zu dem die Künstlerin im Film eine leidenschaftliche Liebe empfindet. Nach ihrem Debüt in Budapest hatte Darvas unter Max Reinhardt großes Renommee erlangt, und die Schauspielerin lebt ab Mitte der 1920er Jahre in Wien, wo sie dem Theater an der Josefstadt angehört. „Neben der Wessely“, so vermerkt ein Blatt, gilt sie als „die repräsentativste Vertreterin österreichischer Schauspielkunst“.83Der Film stellt ihr Debut auf der Leinwand dar, und ihre Mitwirkung wird demgemäß hervorgehoben; Tagebuch der Geliebten „weist als besondere Sensation das Tonfilmdebut der berühmten Schauspielerin Lili Darvas auf“, schreibt Das Kino-Journal,84 die „endlich die ihr zugesagte Filmrolle gefunden [hat]“.85

Dabei scheint sich Tagebuch der Geliebten an Maskerade zu orientieren; es wird dem gleichen Muster gefolgt. Ein Jahr vorher hatte Wessely in Forsts Werk ihr Filmdebüt abgelegt, und ihre Mitwirkung hatte dem Projekt große Resonanz verliehen. Tagebuch der Geliebten versucht den Coup zu wiederholen. In der Presse wird auch die Parallele markiert: „Zweifellos ist dieses Debut geeignet, ebensolche Sensation hervorzurufen, wie im Vorjahr der erste Paula Wessely-Film“.86 Zugleich bemüht man sich, durch Jarays Präsenz an Leise flehen meine Lieder anzuschließen, in dem Jaray Schubert spielt; und es erscheint als bezeichnend, dass Jaray auch in der italienischen Version auftritt, wogegen Darvas durch eine Italienerin ersetzt wird. Es wird ersichtlich auf Jarays enorme Popularität nach Forsts Film gesetzt, um Tagebuch der Geliebten europaweit zu vermarkten.

Die Kritik äußert sich positiv über das österreichisch-italienische Gemeinschaftswerk. Man lobt allseitig Tagebuch der Geliebten, das rückblickend als ein Höhepunkt des österreichischen Kinos der frühen Ton-Ära erscheint und, wie Loacker und Prucha anmerken, „mit Recht neben Zauber der Boheme (1937, Bolvary) als das klassische Melodram des österreichischen Films der 30er Jahre gesehen werden kann“.87 „[Mit] Tagebuch einer Geliebten geht wieder ein repräsentatives Meisterwerk Wiener Filmkunst in die Welt“, heißt es in der Presse;88 es ist „ein Werk von hohem Niveau, das der Marke ‚Österreichischer Film‘ Ehre macht“.89 Im Besonderem wird Darvas‘ Spiel gewürdigt; sie stellt „die große Entdeckung“ dar,90 und die Kritik hebt ihre Leistung hervor. „In Maria Baschkirtzeff lässt Lili Darvas, […] alle Phasen ihrer Kunst, ihres Charmes und ihrer seelischen Ausdrucksfähigkeit erstrahlen“, vermerkt Das Kino-Journal,91 und die Neue Freie Presse schreibt: „Die Maria Baschkirtzeff der Lili Darvas ist darstellerisch höchster Bewunderung würdig“.92 Gleichzeitig wird die feinfühlige Regie anerkannt, sowie die aufmerksame und detailreiche Ausgestaltung: „Steigende Wirkungen und die feinst konturierten epochalen Eindrücke sind der Inszenierung des Regisseurs Hermann Kosterlitz zu danken“,93 dem es „wunderbar [glückt], die ganze Atmosphäre jener Pariser achtziger Jahre einzufangen und lebendig werden zu lassen“.94

Auch die italienische Presse hat lobende Worte. Es wird “[die] fotografische Qualität, der Ausstattung und der Auslichtung” unterstrichen, der Streifen “ist bildlich eine Köstlichkeit, die nie abfällt”.95 „Der Film, mit einem großzügigen Rahmen an Dekors und Kostümen, bietet im Ganzen ein interessantes und abwechslungsreiches Schauspiel“, vermerkt Filippo Sacchi, der einen Vergleich mit Maskerade zieht: “Kosterlitz, in Wien arbeitend, erinnert sich an Willi Forst und wiederholt da und dort von Maskerade Färbung und Stimmung”.96 Gleichzeitig wird die politische Valenz hervorgehoben, die der ersten Koproduktion zwischen Wien und Rom zukommt: „Bedeutend ist, dass Tagebuch der Geliebten in Wien gedreht worden ist, in zwei Versionen“, merkt Il Gior­nale d’Italia an, „und so eine Kooperation im Bereich Film konkret begonnen worden ist, die zu immer besseren Früchten führen wird, im allgemeinen Rahmen der österreichischen-italienischen Freundschaft im politischen, wirtschaftlichen und geistigen Gebiet“.97

Ende 1935 setzt die österreichisch-italienische Zusammenarbeit mit Die weiße Frau des Maharadscha fort, für den erneut die Astra Film und der Wiener Produzent Kraus verantwortlich zeichnen, der ihn durch die Horus-Film herstellt. Der Film war nicht als österreichisch-italienisches Gemeinschaftswerk geplant worden. Als Die weiße Frau des Maharadscha Anfang 1935 angekündigt wird, soll ihn die Panta-Film herstellen und Kurt Gerron Regie führen. Gerron, der 1933 Deutschland verlassen muss, war von der Panta-Film für einige Streifen verpflichtet worden98und hatte schon Bretter, die die Welt bedeuten inszeniert. Als Darsteller werden Albert Bassermann, Ernst Deutsch und Hans Wen­graf genannt.99

Danach erfährt das Projekt eine Umgestaltung. Gerrons Vertrag wird aufgekündigt und der Film umbesetzt, um eine Auswertung auf dem deutschen Markt zu ermöglichen. Dem mag auch die Ersetzung der Panta- durch die Horus-Film entsprechen, die im Frühjahr 1935 gegründet wird. Durch Bretter, die die Welt bedeuten und die Mitwirkung etlicher „Nichtarier“ an Tagebuch der Geliebten wirkt die Panta-Film als kompromittiert, dagegen soll die neue Firma Filme erzeugen, die sich für den deutschen Markt eignen.100 Jetzt soll Geza von Bolvary den Film inszenieren, an dem sich auch die Tobis-Sascha beteiligen soll.101 Gleichzeitig wird der Film im Verleih-Pro­gramm der SASP für die Saison 1935-36 angeführt,102 und Die weiße Frau des Maharadscha mag sich über die Tobis-Sascha und die SASP, die zu dieser Zeit zu Tagebuch der Geliebten in Verhandlung stehen, zu einer österreichisch-italie­nischen Gemeinschaftsproduktion entwickelt haben.

Ferner scheinen an Die weiße Frau des Maharadscha auch Rabinowitsch und Szekely beteiligt zu sein. Auf eine Mitwirkung deutet das Detail hin, dass Die weiße Frau des Maharadscha von der Wiener Rex-Film vertrieben wird; als ihre Eigentümer treten Szekelys Frau, Marianne, Viktor Pilzer sowie eine französische Gesellschaft auf, die Societé Anonyme Victoria; wobei einige Indizien die Pariser Firma mit Rabinowitsch in Verbindung führen, der in einem Brief an Paul Kohner vom 6. Juni 1935 auf die Rex-Film Bezug zu nehmen scheint, als er schreibt: „Ich [habe] meinen längst gehegten Plan jetzt durchgeführt, und zwar habe ich in Wien eine Vertriebsgesellschaft gegründet“.103

Als im Sommer 1935 die Astra Film gegründet und an Tagebuch der Geliebten zu arbeiten begonnen wird, wird zugleich Die weiße Frau des Maharadscha angekündigt,104 und die Filme erscheinen als eng verbunden; sie bilden in ge­wissen Maß ein Diptychon. Auch Die weiße Frau des Maharadscha wird als ein Produkt für den internationalen Markt konzipiert, und das Projekt wird bei einem Empfang in einem römischen Hotel vorgestellt, an dem „an 250 Personen“, so berichtet die Presse, teilnehmen, „kurz alles, was in der italienischen Filmwelt einen Namen hat“.105 Zugleich soll der Film das italienische Gegenstück zu Tagebuch der Geliebten darstellen, und es ist bezeichnend, dass Die weiße Frau des Maharadscha in Rom hergestellt wird, nachdem Tagebuch der Geliebten in Wien gedreht worden war. Offensichtlich wird dem italienischen Wunsch Rechnung getragen, dass für je ein Film, der in Wien das Licht sieht, auch einer in Italien hergestellt wird.

Von Die weiße Frau des Maharadscha wird ebenfalls eine italienische Version realisiert, Una donna fra due mondi. In Gegensatz zu Tagebuch der Geliebten werden aber ein deutscher Regisseur und ein Italiener engagiert: Arthur M. Ra­benalt und Goffredo Alessandrini, der die italienische Version inszeniert. Ursprünglich soll Letzterer vielleicht, wie Kosterlitz bei Tagebuch der Geliebten, beide Versionen inszenieren. Im Film-Kurier wird er Anfang November 1935 als einziger Regisseur angeführt: „Die Frau zwischen zwei Welten, eine deutsch-italie­nische Gemeinschaftsproduktion, […], Regie: Goffredo Alessan­drini“.106

Dagegen wird für beiden Versionen die Italienerin Isa Miranda verpflichtet, wobei ihr Engagement in offensichtlicher Kontinuität mit Tagebuch der Geliebten erfolgt, bei dem sie in der italienischen Version Baschkirtzeff spielt.107 Ein Jahr vorher hatte Miranda unter Max Ophüls‘ Leitung die Hauptrolle in La signora di tutti gespielt; der Film gehört zu den ersten Versuchen im italienischen Kino der 1930er Jahren, ein internationales Produkt durch Einbindung eines ausländischen Regisseurs herzustellen, und La signora di tutti markiert Mirandas Durchbruch. In den darauffolgenden Jahren wird sie zur internationalsten Star des italienischen Kinos, tritt in europäischen Koproduktionen auf und dreht Ende des Jahrzehnts in Hollywood einige Filme, bevor sie nach Italien zurückkehrt, als der Krieg ausbricht. Durch Die weiße Frau des Maharadscha soll der Schauspielerin, die „die deutsche Sprache nicht mühselig, sondern mit klarer Sprachtechnik [beherrscht]“, vermerkt ein Blatt,108 eine deutsche Karriere eröffnet werden. Es ist bezeichnend, dass sich auch die Bavaria-Film, bei der Miranda danach Du bist mein Glück an der Seite Beniamino Giglis dreht, an Die weiße Frau des Maharadscha beteiligt, wobei der Film in Deutschland als eine italienisch-deut­sche Gemeinschafts-Produktion angeführt wird; als Hersteller werden einzig die Bavaria- und die römische Astra-Film genannt.109

Als achtenswert erscheint auch die Beteiligung Corrado Alvaros an Die weiße Frau des Maharadscha; es handelt sich um einen der wichtigsten Vertreter der italie­nischen Literatur der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, und Alvaros Mitwirkung ist ein weiteres Element, das Die weiße Frau des Maharadscha, Casta Diva und Tagebuch der Geliebten verbindet. Ende der 1920er Jahre hatte Alvaro eine Zeitlang in Berlin gelebt110 und ist der deutschen Sprache mächtig. Bei Die weiße Frau des Maharadscha verfasst er gemeinsam mit dem Österreicher Georg C. Klaren das Drehbuch, das auf einem Roman Ludwig von Wohls basiert; Klaren, der seit den späten 1920er Jahren beim Film tätig ist, wird in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts an weiteren deutsch-italie­nischen Produktionen teilnehmen: Ave Maria, Traummusik, Mutter, Tragödie einer Liebe. Davor hatte Alvaro bei Casta Diva für den italienischen Dialog verantwortlich gezeichnet, und der Schriftsteller spielt ebenfalls eine wichtige Rolle bei Tagebuch der Geliebten.

Mit Kosterlitz und Felix Joachimson, die Anfang der 1930er Jahre eine erfolgreiche Zusammenarbeit bindet, verfasst Alvaro das Buch für die erste italienisch-ös­terreichische Gemeinschafts-Produktion. Auf das Projekt nimmt der Schriftsteller in einigen Briefen an seine Frau Bezug. So schreibt er am 13. Mai: „Ich setzte die Arbeit am Buch für den Film fort und bereite einen eigenen Entwurf vor, der der Aufzeichnung folgen soll, die ich gestern abgeschickt habe“.111 Auch ist er an den Dreharbeiten beteiligt. Im Sommer 1935 reist er zusammen mit den italienischen Schauspielern nach Wien, und Alvaro assistiert vermutlich Kosterlitz bei der italienischen Version.112 Neben Kosterlitz wird er in der Presse zuweilen als Regisseur angeführt; „das Drehbuch ist von Corrado Alvaro, der mit Hermann Kosterlitz auch der Regisseur des Films sein wird“, heißt es in Cinegiornale.113

Mit Tagebuch der Geliebten und Casta Diva hat Die weiße Frau des Maharadscha auch Gattung und eine gewisse Handlungskonstellation gemeinsam. Im Mittelpunkt stehen abermals ein weibliches Schicksal und eine unmögliche Liebe, und auch Die weiße Frau des Maharadscha lässt sich trotz eines relativen Happyends (als Mira erkennt, dass der indische Fürst sie nur wegen ihrer Ähnlichkeit mit seiner Frau liebt, die Jahre vorher verstorben war, kehrt sie zu Stephan zurück) dem Mélo zuschreiben. Gleichzeitig will Die weiße Frau des Maharadscha auch ein Musikfilm sein, und die Handlung ist reich an musikalischen Einlagen; und man setzt erneut bei der Zusammenstellung des Cast auf einen prominenten Namen. Die Rolle Stephans wird mit dem tschechischen Geiger Váša Příhoda besetzt. Es handelt sich um einen der größten Virtuosen der Zwischenkriegszeit; Příhoda hatte des Öfteren in Italien konzertiert, war auf Tournee in Südamerika und den USA gewesen, und der Geiger ist in den späten 1930er Jahren in Wien ansässig. In Die weiße Frau des Maharadscha tritt Příhoda zum ersten Mal auf der Leinwand auf, und sein Name soll dem Film offensichtlich internationale Resonanz garantieren.

In der Presse wird Die weiße Frau des Maharadscha mit genereller Zurückhaltung aufgenommen. Man preist Isa Miranda: „Prachtvolle Augen, ein Gesicht von aparter, vornehmer, durchseelter Schönheit, eine Stimme“, schreibt ein österreichischer Kritiker, die „an Marlene Dietrich […] erinnert“;114 und es wird die südländische Landschaft hervorgehoben, vor der die Handlung abrollt: “Die wundervolle Szenerie San Remos bildet den Schauplatz des Films”.115 Der Film setzt deutlich auf die exotische Kulisse, und die Kamera verweilt auf den blauen Himmel, das weite, ruhige Meer, die üppige Vegetation, Palmen und Blumen, die die traurige Love Story einrahmen. Während die andere Attraktion, mit der Die weiße Frau des Maharadscha aufwartet, Příhodas Darbietung ist: „Gestehen wir es“, heißt es in der Neue Freie Presse, „die Partien […], in denen dieser Hexenmeister Geige spielt, sind die unbestreitbar genussvollsten des ganzen Werkes“.116

Dieselbe Meinung vertritt auch die italienische Kritik. “Der Film scheint mir dafür gemacht zu sein, um Příhodas Ruhm und Talent filmisch auszunützen”, vermerkt Dino Falconi,117 und Gugliemina Setti schreibt: “Příhoda spielt hervorragend […] er stellt die größte Attraktion des Films dar”.118 Aber das Resultat wirkt unbefriedigend: „Der Rest ist Beiwerk“, und der Film „lässt uns kalt“.119 Die Schuld wird dem Drehbuch und einer unzulängliche Inszenierung zugeschrieben, denen es „an Lebendigkeit, Gewandtheit und Interesse“ fehlt, und „die Handlung reiht farblose Typen, Milieus und Begebnisse an“, bemängelt Mario Gromo;120 die Regie erscheint als „korrekt und sonst nichts“,121 und der Film, stellt die Neue Freie Presse fest, „hält sich gern an Erprobtes und Bewährtes“.122